Nicole Bernegger war gerade dabei, mit ihrem Album «Alien Pearl» abzuheben, als ihr das Coronavirus einen Strich durch die Rechnung machte. Die Basler Soulsängerin über Dampfnudeln, Kreativität und die Chance der Reduktion.
Von Michèle Faller
Die Sängerin mit der imposanten Frisur im Stil der 1960er-Jahre wippt im bläulichen Bühnenlicht zum Takt der Musik und setzt zum Finale des Songs an. Voller Inbrunst singt sie ins Mikrofon: «She’s not from this world, there’s none of her kind – she’s an Alien Pearl!» Darauf folgt nicht euphorischer Applaus, sondern Stille. Was ist da los? Ist es der Albtraum einer Bühnenkünstlerin? Nicht ganz. Es ist das live übertragene Konzert von Nicole Bernegger und ihrer Band im Rahmen der vom Online-Medium Bajour initiierten Kulturreihe – ohne Publikum.
Natürlich war Publikum vorhanden, aber es sass, bedingt durch die Coronavirus-Krise, zu Hause vor den Bildschirmen, freute sich und spendete die Gage der Band. Nicht nur deswegen freute sich auch die Soulsängerin mit dem unverkennbaren Look und der noch unverkennbareren Stimme, denn am Konzert vom 15. April sah sie nach langer Zeit einen Teil ihrer Bandmitglieder wieder und durfte endlich wieder einmal für ein Publikum singen.
Im Moment singt sie nicht, sondern sie spricht – in breitem Fricktaler Dialekt – und be- richtet am Telefon, wie sie diese Zeit des kulturellen Quasi-Stillstands erlebt. «Wir waren gerade am Abheben. Zusammen mit Steffi Klär gründete ich mein eigenes Label, letzten Herbst kam das dritte Album ‹Alien Pearl› raus und mitten in der Promo-Tour kam plötzlich alles zum Stillstand.» Die Sängerin hält einen Moment inne und sagt dann lachend: «‹Alien Pearl› steht nun ein bisschen in der Ecke und fragt sich: ‹Packt mich nun noch jemand aus?›» Nach dieser «superaktiven» Phase der Kreativität sei sie jetzt fast mit sich allein, stellt Bernegger fest.
Unentbehrliches Publikum
Und das Alleinsein liegt ihr nicht. «Musik ist ein Erlebnis gemeinsam mit Menschen. Mit einer Band oder im Duo und vor allem mit Publikum!» Das sei beim Live-Stream im April sehr deutlich geworden. Während eines Songs bleibe die Spannung aufrecht. «Und dann: Bumm! Niemand ist da, der den Ball aufnimmt und die Stimmung stürzt ab.» Trotzdem sei es toll gewesen. Lange seien sie nach dem Konzert noch wehmütig draussen gestanden.
«Kreativität findet immer ihren Weg», ist die Sängerin trotz allem überzeugt. Sie werde ihr liebes Publikum immer vermissen, schickt sie in ihrer herzlichen Art vorweg. Und auch das «distant singing» mit der Band klappe nicht, da man mit den Latenzen, der Verzögerungszeit zu kämpfen habe. Songwriting hingegen funktioniere immer noch und das Proben in kleineren Gruppen müsse auch irgendwie gehen, meint die Sängerin der siebenköpfigen Band. Wichtig sei im Moment, mit dem Publikum über die sozialen Netzwerke in Kontakt zu bleiben. «Es ist halt alles ein bisschen verdünnt. Ein bisschen wie Briefe schreiben, bis man sich wieder sieht», sinniert Bernegger. «Ich hoffe, die Sehnsucht beim Publikum ist so gross wie bei uns!» Jammern scheint der Frau mit der warmherzigen Ausstrahlung, die sogar durch den Telefonhörer hindurch spürbar ist, nicht zu liegen. «Die Chance dieser Zeit ist, in der Reduktion zu sehen, was man hat.» Was man wirklich brauche und was überflüssig sei. Jetzt stelle sich ganz allgemein die Frage: «Was ist Kultur? Was ist, wenn sie nicht mehr in gewohnter Form konsumierbar ist? Was ist uns Kultur wert?»
Entschleunigung und neue Erfahrungen
Auch im privaten Bereich hat sich für die Musikerin, die mit ihrem Mann und den drei Kindern zwischen sieben und elf Jahren in Birsfelden wohnt, einiges verändert. Es sei schwieriger gewesen als sonst, sich Zeit für die Musik abzuzwacken, da vorher ihre Eltern und ihre Gotte regelmässig die Kinder hüteten und neu das Homeschooling dazukam, doch die private Entschleunigung habe sie sehr geschätzt. Nicht nur ihr Mann und sie, auch die Kinder seien mit Schule, Sport, Musik und Gspänli ziemlich beschäftigt und nun sei plötzlich viel Raum für die Familie dagewesen. «Das ist megaschön.» Konkret hat das zu einer Entrümpelungsaktion, Bastelarbeiten bis zum Möbelrecycling, Näharbeiten der siebenjährigen Tochter an der Nähmaschine und neuen Küchenerfahrungen geführt – und damit zu neuer Kreativität. «Ich machte zum ersten Mal Dampfnudeln», nennt Bernegger ein Beispiel und berichtet vom Vorteig, dem Hauptteig, dem Kneten und dem Immer-wieder-aufgehen-lassen. «Wenn das nicht absolut der Hammer wird, mache ich es nie mehr!», habe sie kurz vor Ende ausgerufen. Ihr Lachen verrät aber, dass das Ergebnis wie gewünscht war.
Beiden Welten gerecht zu werden, der Familie und der Musik, sei wichtig, denn beides sei ein Riesengeschenk. Und weil ihr Beruf sie so befriedige, mache es auch nichts, dass er so zeitintensiv sei. Sie brauche nicht noch ein Hobby, erklärt sie schmunzelnd. «Seit ich denken kann, gibt die Musik die Struktur meines Lebens vor.» Die Grosseltern berichteten, Klein Nicole hätte bereits im Kinderwagen immer gesungen und mit den Beinchen gestrampelt. Mit zwölf sang sie in einem Jugendchor und merkte, dass sie unbedingt Solo singen wollte. Also zwang sie eine Freundin, sie zum Vorsingen bei einer Band zu begleiten und bereits zwei Jahre später gründete die Vierzehnjährige mit Gleichgesinnten ihre eigene Band. «Schon damals so richtig gross angerührt mit Bläsern und Backings», erinnert sich die Musikerin ein bisschen stolz. Sie durfte Gesangsstunden bei einer Opernsängerin nehmen – das Koloratursingen liess sie aber aus, da sie ja nicht an die Oper wollte. Mit Anfang 20 sang sie bei der Band «Kalles Kaviar» und ab 2003 tourte sie als Frontfrau der Soulband «The Basement Brothers feat. The Kitchenettes» von Konzert zu Konzert.
Zur Castingshow «The Voice of Switzerland», die Bernegger 2013 gewann, und die sie schweizweit bekannt machte, sagt die Soulsängerin: «Das war ein wichtiger und faszinierender Teil meines Musikschaffens und doch ein ziemlich kurzer Moment», und führt die rund 20 Jahre Musik vorher und sieben Jahre danach ins Feld. Sie habe dabei viel über sich selber und das Business gelernt – und viel Lehrgeld gezahlt. Am wichtigsten aber: Sie habe den Sprung von der Fernsehshow zurück ins Leben geschafft. «Und es hat wohl auch mit diesen Erfahrungen zu tun, dass ich den Mut hatte, mein eigenes Label zu gründen.» So hätten sie und ihre Band frei von jeden Einflüssen, ohne Abstriche und ohne Marketinggedanken das neue Album kreieren können.
Nun bleibt zu hoffen, dass wir bald wieder ein Livekonzert mit Nicole Bernegger geniessen dürfen. Am besten in einem kleinen Raum, wo man richtig spürt, wie die Energie brodelt – so mag es nämlich auch die Sängerin am liebsten. Bis dahin teilen wir den Moment mit ihr weiterhin aus der Distanz, unter anderem mit dem Genuss ihres Musikvideos «A Moment to Share».
Exklusiv für BaslerIN:
Vorpremiere des Musikvideos
«A MOMENT TO SHARE» aus dem dritten Album «Alien Pearl»
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