«Yves Saint Laurent gab Frauen die Macht», heisst es. Der Franzose gilt als einer der genialsten Modeschöpfer, er verkörperte wie nur wenige andere Designer die französische Haute-Couture-Mode. Den grössten Einfluss hinterliess er 1967 mit seiner Kreation eines Hosenanzuges für Frauen. Dieser Smoking schmeichelte der weiblichen Form elegant und sachlich zugleich und wirkte dadurch bewusst emanzipatorisch. Das Museum YSL in Paris präsentiert seine Kollektionen neu und wirft ein Licht auf den ikonischen Mondrian-Look.
Von Maria Becker
Kann Mode Kunst sein? Für Aurélie Samuel, Sammlungsdirektorin und Kuratorin des Musée Yves Saint Laurent in Paris, ist das keine Frage. Die Kunsthistorikerin ist überzeugt, dass der kulturelle Wert von Mode den Rang von Kunst hat. Angesichts der glamourösen Präsentation von Saint Laurents Kollektionen glaubt man das gerne. Sind nicht die beiden Museen — nach dem Pariser Haus wurde 2017 auch eines in Marrakesch eröffnet — der offizielle Beweis für den hohen Stellenwert? Selbst der Meister war sich nicht so sicher, ob Mode mit Kunst gleichzusetzen ist. Doch es war für ihn klar, dass es einen Künstler braucht, um Mode zu erschaffen. So sah er sich: «Es ist geheimnisvoll, aber die Natur hat mir ein Talent gegeben: zu spüren, was die Frauen wünschen.»
Yves Saint Laurent, 1936 in Oran, Algerien, geboren, hat die Beziehung zwischen Kunst und Mode verändert. Er liess sich vielfach inspirieren von Werken der Kunstgeschichte und war ein passionierter Sammler. Heute werden im Museum in Paris Bilder von Picasso, Matisse und anderen als Beigabe für Ausstellungen präsentiert.
Das klassizistische Gebäude an der Avenue Marceau ist das Stammhaus des Unternehmens und bewahrt rund 3100 Prototypen von Modellen. Anders als es früher bei Haute-Couture üblich war, hat Saint Laurent diese Originalmodelle für sich behalten. Zusammen mit Tausenden von Entwurfszeichnungen, Fotos und Accessoires bilden sie den Kernbestand des Museums. Auch sein Atelier gehört dazu: Es ist die Keimzelle der grossen Kreationen, wo der Meister zwischen Stoffballen und Kunstbüchern seine Kollektionen entwarf.
Das Mondrian-Kleid
Die neue Präsentation der Kollektionen im Pariser Museum fokussiert auf die berühmte Mondrian-Linie, die Saint Laurent in der Herbstschau 1965 erstmals zeigte. Sie machte ihn mit einem Schlag international bekannt. Der «Mondrian cocktail dress»,wie die originale Bezeichnung heisst, ist ein einfaches Etuikleid ohne figurbetonende Nähte. Hals- und Ärmel-Ausschnitte sind ohne jedes Dekor, alles kommt auf die Wirkung des von Mondrians späten abstrakten Bildern übertragenen Musters an: schwarze Linien auf weissem Grund und die drei Primärfarben Rot, Blau und Gelb. Gefertigt aus weichem Woll-Jersey, ignorierte das Modell die klassischen Vorgaben der Haute Couture, deren Entwürfe sich grundsätzlich am Körper der Frau orientierten. Saint Laurent kam es auf die Dekorativität des künstlerischen Vorbildes mit seinen klaren Farben und Mustern an. Dass es dennoch weiblich wirkte, hat Pierre Bergé, Laurents Freund und langjähriger Geschäftsführer, bestätigt: «Nicht eine Naht, kein Abnäher für die Brust – nichts, was hilft, dass das Kleid gut sitzt. Es schmiegt sich an die Hüften, an die Brust, und sehen Sie sich die Frauen in den Kleidern an: Es sitzt perfekt.»
Das Mondrian-Kleid war eine Kreation, das den Geist seiner Zeit, die revolutionären 1960er-Jahre, reflektierte. Es war modernistisch und künstlerisch zugleich und wirkte stilbildend in der Modewelt und in der Gesellschaft. Oft kopiert, ist es heute weltweit in Museen zu sehen. Yves Saint Laurent hat das Grundmodell später modifiziert, so dienten auch die Kompositionen von Serge Poliakoff, einem ebenfalls abstrakten Künst-ler, als Muster. Darüberhinaus war das Etuikleid einfach ein Symbol für die neue Freiheit in der weiblichen Mode, ebenso wie der Hosenanzug, den Saint Laurent 1966 kreierte. Frauen konnten nun selbstverständlich auch maskuline Kleider tragen. Das war keine Kleidung mehr für das konservative Publikum der Haute Couture. «Yves Saint Laurent begleitete die Emanzipation der Frau. Er gab den Frauen Macht», sagt die Kuratorin Aurélie Samuel.
Die Brüste von Mannequins
Die neue Präsentation der Kollektion gibt auch einer langjährigen Mitarbeiterin des Meisters die Ehre: Claude Lalanne, eine exzentrische Bildhauerin, die für Saint Laurents Kollektionen Schmuck und andere Accessoires entwarf. Für ihre erste Teilnahme an der Herbstschau 1969 hatte sie die Brüste von Manne-quins abgeformt und in Kupfer gegossen. Die antropomorphe Schmuckform wurde wie eine Rüstung über Abendroben aus tiefblauem Chiffon getragen und erregte damals nicht nur Bewunderung, sondern auch Kritik. Für Saint Laurent konnte es recht sein. Einmal mehr hatte er gezeigt, dass seine Kreationen auf der Höhe der Zeit waren.
Die Frage, ob Mode Kunst sein kann, kann man am besten bei einem Besuch der neuen Ausstellung be-antworten. In jedem Fall ist sie ein wunderbares Handwerk. Bis zum 5. Januar 2020 ist die Präsentation von Saint Laurents ikonischen Modellen im Musée Yves Saint Laurent Paris zu sehen.
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